Deutscher Lesepreis 2026:Lina Lee mit Leseclub nominiert

Lesen bedeutet weit mehr als Buchstaben zu erkennen. Lesen heißt, gesehen zu werden, gehört zu werden und Raum für eigene Gedanken zu bekommen. Oder, wie Lina Lee es selbst beschreibt: „Lesen ist mehr das Gefühl: Ich bin für dich da, ich sehe dich.“ Genau diesen Gedanken lebt der Leseclub der Krawatte, ein Projekt, das Kinder stärkt, ihre Sprachkompetenzen fördert und ihnen einen geschützten Raum bietet, in dem sie sich entfalten können.
Ein besonderer Anlass stellt dieses Engagement nun in den Mittelpunkt: Lina Lee, duale Studentin beim Sozialdienst katholischer Frauen, wurde für den Deutschen Lesepreis 2026 nominiert. Für Lina ist dabei eines besonders wichtig: Diese Nominierung gilt nicht ihr persönlich. Sie versteht sie als Anerkennung für alle ehrenamtlichen Lese-Patinnen und Lese-Paten, die den Leseclub mit viel Zeit, Geduld und Herz tragen. Ohne dieses Engagement wäre das Projekt nicht möglich.
Der Leseclub entstand ursprünglich als Angebot für ukrainische geflüchtete Kinder. Die Nachfrage war jedoch so groß, dass sich das Projekt schnell für alle Kinder aus bedürftigen Familien öffnete. Heute kommen Kinder unterschiedlichen Alters zusammen, überwiegend aus Wuppertal-Heckinghausen – doch willkommen ist hier jede und jeder. Das Ziel ist klar: „Wir wollen die Kinder unterstützen.“ so Lina Lee.
Gelesen wird im Leseclub nicht nur einsprachig. Durch mehrsprachige Lese-Paten und Patinnen werden Geschichten in verschiedenen Sprachen lebendig. Dabei geht es nicht nur um Sprache, sondern um Austausch und gegenseitige Unterstützung. Lina beobachtet immer wieder, wie sehr Kinder voneinander profitieren: „Jeder versteht Geschichten anders.“ Genau diese unterschiedlichen Sichtweisen fördern die Kommunikation unter den Kindern und stärken ihr Selbstvertrauen.
Viele Kinder erleben zu Hause wenig Vorlesezeit – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Umso wichtiger ist der geschützte Rahmen, den der Leseclub bietet. „Wir bewerten niemanden - jeder kann lesen“, betont Lina. Manche Kinder lesen laut, andere leise, manche blättern zunächst nur durch die Seiten. Auch das gehört dazu. „Es ist schön, ein Buch in der Hand zu halten, auch wenn man nur durchblättert.“
Ergänzt wird das Angebot durch eine Kooperation mit der Grundschule Meyerstraße. Dort gibt es die individuelle 1:1-Leseförderung in der regelmäßig gelesen und vorgelesen wird – von klassischen Kinderbüchern bis hin zu Sach- und Wissensbüchern. Besonders deutlich wurde im Projekt, dass viele Kinder – vor allem in der dritten und vierten Klasse – Schwierigkeiten beim Lesen haben. Jedes Kind erhält rund 30 Minuten Zeit, in denen gezielt auf Wortschatz, Lautbildung und den jeweiligen Lesestand eingegangen wird. Dabei entsteht eine vertrauensvolle Atmosphäre. „Wenn Kinder jemanden haben, der ihnen zuhört, dann blühen sie auf“, sagt Lina. Die Kinder dürfen sich fallen lassen, Fehler machen und Neues ausprobieren.
Fehler gehören ausdrücklich dazu – auch bei den Erwachsenen. „Ich mache auch mal Fehler, und ich finde es schön, wenn Kinder mich korrigieren“, erzählt Lina. Dieses Miteinander auf Augenhöhe stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder und nimmt ihnen die Angst vor dem Lesen. Nach der Lesezeit wird gespielt, entdeckt und gelernt – mit Büchern, Magazinen und kindgerechten Sachthemen wie Tierarten, Natur oder Wissenschaft.
Der Leseclub findet seit 2022 regelmäßig statt: seit diesem Jahr montags in der Schule und freitags in der Krawatte, die in ökumenischer Trägerschaft geführt wird.
Besonders berührend sind die Momente, in denen sichtbar wird, wie sehr Kinder durch das Lesen wachsen. Bei einem Vorlesen im Seniorenheim trug ein Mädchen aus einer Mädchenwohngruppe des SkF sogar eine selbst geschriebene Geschichte vor. Solche Erlebnisse zeigen, wie Lesen Generationen verbindet und Kindern Mut gibt, ihre eigene Stimme zu finden.
Lina Lee begleitet das Projekt nicht nur organisatorisch, sondern auch persönlich. Als duale Studentin ist sie in den Wohngruppen St. Hildegard eingesetzt und bringt ihre Erfahrungen direkt in die Leseförderung ein. Ein Wunsch liegt ihr dabei besonders am Herzen: „Mein Traum wäre, wenn die Mädchen aus den Mädchenwohngruppen selbst einmal Lese-Patinnen werden.“
Derzeit engagieren sich rund 19 bis 20 ehrenamtliche Lese-Paten, etwa 15 Kinder sind regelmäßig angemeldet – oft kommen spontan weitere hinzu. Wer Freude am Lesen hat, gerne mit Kindern arbeitet und sich engagieren möchte, ist herzlich eingeladen, Teil des Projekts zu werden. Auch mehrsprachige Lese-Paten sind willkommen. Gut erhaltene Kinderbücher werden zudem gerne als Spenden angenommen und an Kinder weitergegeben, die sich besonders über ein eigenes Buch freuen.
Die Nominierung für den Deutschen Lesepreis 2026 macht sichtbar, was im Leseclub Krawatte seit Jahren geleistet wird. Sie steht für ein Projekt, das zeigt, wie viel entstehen kann, wenn Menschen sich Zeit nehmen, zuhören und Kindern Raum geben.